18:18 goes 37. Duisburger Filmwoche # IM BILDE
WAS ZÄHLT IST DER AUSDRUCK, NICHT DIE ABBILDUNG
18:18 im Gespräch mit Werner Ružička // Leiter der Duisburger Filmwoche seit 1985
WIR HABEN DIE FILME AUSGEWÄHLT, DIE UNS ÜBERZEUGT HABEN. FILME IN KATEGORIEN EINZUORDNEN WÜRDE SCHUBLADEN ÖFFNEN.
Werner Ružička: Es ist bekannt, dass das Programm nicht nach vorgegebenen Kriterien ausgewählt wird, sondern danach, was uns überzeugt. Es läuft nicht so ab, dass wir sagen wir brauchen jetzt einen Film in dem es um Familie geht, einen der kurz ist und einen animierten, sondern wir haben die Filme ausgewählt, die uns das Gefühl gegeben haben, gut zu sein. Die Besten des Jahres zu sein. Filme in Kategorien einzuordnen würde Schubladen öffnen. Ich kann ein, zwei allgemeine Sachen nennen. Ohne Zweifel hat die digitale Revolution zu Veränderungen geführt. Man dreht mit digitalen Apparaturen unter einfacheren Bedingungen. Freies unabhängiges Arbeiten mit begrenzten Mitteln ist möglich. Es ist kostengünstiger und es kann mehr in die Postproduktion investiert werden. Durch das geringe Gewicht der Geräte, wird eine Mobilität geschaffen, die das Erreichen von Gegenden ermöglicht in die man sonst nicht gekommen wäre.
18:18: Würdest du sagen, dass durch diesen digitalen Wandel nun sehr viel mehr Leute die Möglichkeit haben Filme zu machen, aber die allgemeine Qualität sinkt?
Werner Ružička: Man merkt, ob jemand mit diesen Geräten bewusst und professionell umgehen kann. Klar kann jeder Amateur weiter seine Blumenbilder machen, aber ich denke schon, dass man merkt, warum Leute Bilder machen wollen und etwas ausdrücken und nicht etwas abbilden wollen. Eine Entwicklung ist, dass immer mehr Leute von den benachbarten Künsten kommen, von den Kunstakademien oder aus der Galerieszene. Ich glaube nicht, dass sich der Dokumentarfilm als bewusste Ausdrucksform, irgendwann amateurisiert. Die Form und die formale Bewältigung ist immer ein wichtiges Kriterium. Hinzu kommt, wir haben viele Hoch- und Fachhochschulen an denen das Bildermachen von guten Lehrern, die meist selber auch Filme machen oder gemacht haben, auf hohem Niveau gelehrt wird, sodass auf den Nachwuchs vertraut werden kann.
MAN MERKT OB LEUTE ETWAS AUSDRÜCKEN UND NICHT ETWAS ABBILDEN WOLLEN.
18:18: Hat sich die Aufmerksamkeitsspanne der Gesellschaft verkürzt. Ein 80-Minuten-Dokumentarfilm wird oft schon als anstrengend empfunden. Wirkst sich das auf die Filme aus, wie nimmst du es wahr?
GEGEN DEN KANNIBALISMUS DER BILDER ZUR WEHR SETZEN
Werner Ružička: Jede Art von künstlerischer Bearbeitung von Bildern muss sich gegen den Kannibalismus von Bildern zur Wehr setzen. Es müssen Bilder sein, die sich gegen diese üblichen Bilder wenden. Man kann von einer Massenbildhaltung sprechen. Dass Bilder so zu sagen kaputt gemacht werden, versendet werden, vermatscht. Und wenn es so ist, dass bei einem Thema das interessiert, mit einem Engagement in der Form und mit einer bewussten Art des Contrapunkts gearbeitet wurde, dann bleiben die Zuschauer auch in einem Film der vier Stunden dauert. Dann sind die Leute auch bereit, sich einer Filmerzählung hinzugeben, die nicht nach üblichem Schema abläuft, bei dem am Anfang etwas Nettes passieren muss um dabei zu bleiben, oder in der Mitte noch mal ein Höhepunkt nötig ist, sondern, dass man die Faszination des richtigen, guten Bildes sucht, kreiert und in der Filmzeit geschickt kreativ und rhythmisch in Beziehung setzt. Und dann findet man Zuschauer, gerade auch Zuschauer, die von den üblichen „Blabla-Bildern“ abgelenkt werden, bei denen die Sehnsucht nach dem guten Bild bleibt, nach dem guten Gespräch, nach der richtigen Einstellung. Es gibt immer eine Sehnsucht, etwas aus der Vergangenheit im Bild wieder zu finden. Es gibt immer die Sehnsucht von Leuten, die Welt erklärt zu bekommen. Als Kind haben wir es gemocht, wenn der Opa uns von seiner Vergangenheit erzählt hat und diese Erzählungen sind Teil unserer Gattung als Mensch. Wir möchten gerne erzählen, wir möchten gerne den Menschen angucken, an deren Lippen hängen. Diese Zuschauerhaltung, die wir als Kind schon hatten bleibt immer. Man kann sagen, im dunklen Kinosaal wird man wieder zum Kind, das mit offenem Mund und offenen Augen voller Erwartungen steckt und sich mitreißen lässt. Das bleibt. Der Dokumentarfilm ist im Grunde ein naives Medium, das immer wieder Anlass und Ansporn gibt, die Welt kennenzulernen, anders zu sehen, zu verstehen.
ES GIBT IMMER DIE SEHNSUCHT DER LEUTE, DIE WELT ERKLÄRT ZU BEKOMMEN.
18:18: Aber nicht nur die fremden Dinge der Welt, sondern auch die Dinge die uns verbinden. Was stark heraus sticht, ist die Vielfalt der Filme auf dem Festival. Experimentelle Bilder und Inhalte lassen mich teilweise mit dem Gedanke aus dem Saal kommen, ob das jetzt eigentlich ein Dokumentarfilm war. Würdest du sagen, ein Dokumentarfilm muss ein bestimmtest Merkmal haben, um zu einem Dokumentarfilm zu werden? Was muss er erledigen?
Werner Ružička: Ich würde nur sagen, dass ein fiktionaler Film das Gegenteil ist. Man denkt sich etwas aus, schreibt es auf und sucht sich Leute um es ins Bild zu setzen. Ein Dokumentarfilm geht umgekehrt vor. Er findet etwas vor, eine Landschaft, ein Thema, einen Menschen, die man in Zusammenhang bringen will und macht das auf der Grundlage von realen Orten und von realen Menschen, dokumentarischen Körpern. Das jeder Drehanlass gewissermaßen arrangiert ist, ist klar, auch dem Zuschauer. Jenseits davon ist im Dokumentarfilm alles möglich. Am Anfang der Filmgeschichte wurde keine Trennung gemacht zwischen dem Spielfilm und dem Dokumentarfilm. Da war alles Film. Ob Märchen oder Wirklichkeit. Im Grunde ist die Trennung zwischen Wirklichkeit und Fiktion eher künstlich. Im Geschichtenerzählen mischen wir auch Dichtung und Wahrheit. Deswegen ist unser Alltag von solchen Elementen durchzogen.
18:18: Könntest du einen typischen Dokumentarfilmer beschreiben? Was macht ihn aus?
Werner Ružička: Neugier, Wachheit und totale Kompetenz. Neugier ist notwendig, denn die wahren Geschichten liegen auf der Straße. Leute die geschlossen durch Städte gehen, bloß auf den Boden oder in Schaufenster gucken, sind keine Dokumentarfilmer. Wachheit in dem Sinne, zu sehen, wie kommen Veränderungen, wie verändert sich etwas. Und totale Kompetenz, um sich mit Leuten vertraut zu machen, Gespräche führen zu können. Auch ein gewisser Charme ist notwendig, um die Lebendigkeit des Stoffes, der Lebendigkeit der Menschen entgegenbringen zu können. Dazu ist man ist darauf angewiesen im Team arbeiten zu können, Vertrauen zu erwecken und wie in allen künstlerischen Berufen eine Verführungsfähigkeit zu besitzen, die Kompetenz des Öffentlichen.
WENN ÜBER EIN KUNSTWERK GESPROCHEN WIRD, SOLLTE DIES IN EINER SPRACHE GESCHEHEN, DIE SICH MÜHE GIBT. MAN KANN VON EINER MASSENBILDHALTUNG REDEN. BILDER WERDEN KAPUTT GEMACHT, VERSENDET, VEMATSCHT.
18:18: Ist die Frage der Sprache nicht sekundär?
Werner Ružička: Absolut nicht. Ich würde sagen, so genau man spricht, so genau sieht man. Der Zuschauer hat nach dem Film die Möglichkeit, durch sprachliche Mühe etwas zurück zu geben. Das Zweite ist, jeder Film ist der König während seiner Laufzeit. Ob morgens um 10 oder nachts um 12, nur dieser eine Film ist im Fokus. Es kann nicht passieren, dass man den einen Film nicht sehen kann, weil in Kino 17 der andere läuft. Auf den meisten Festivals trifft man sich zum Frühstück, trifft sich abends wieder und hat ganz selten vielleicht einen Film gemeinsam gesehen. Das finde ich schade. Schade, dass man solche Erlebnisse nicht teilen kann. Wir sagen, wir wählen von 1000 Filmen, die in Frage kommen 30 aus und das vertreten wir auch.
SO GENAUER MAN SPRICHT, SO GENAUER SIEHT MAN.
Das 18:18 Gespräch führte Elefterions Efhimiadis > FULL INTERVIEW
DREHTEAM: Isabell Kunz // Stephanie Danne // Teresa Prosch // Patrick Langenbeck
18:18 | TRAILER 2