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Newsletter Film- und Medienstiftung NRW

Risiken eingehen

Interview – Wolfgang Hippe

Britta Wandaogo: Die alten Klischees zum Dokumentarfilm – die langsame Erzählung, schöne Bilder, ein gesprochener Kommentar, erklärend aufklärerisch und möglichst 90 Minuten lang, haben sich überlebt. Die Sehgewohnheiten insbesondere des jüngeren Publikums haben sich geändert. Aber alles, was gut ist, hat Bestand. Das Besondere am Dokumentarfilm ist, ich spreche nicht von Dokumentation, dass alles möglich ist, dass es auf den eigenen Kopf ankommt und wie man Ideen umsetzt.

Wolfgang Hippe: Hilft zur Unterscheidung der Begriff des Authentischen weiter?

Britta Wandaogo: Beim Dokumentarfilm funktioniert der Kopf anders, man arbeitet direkter mit den Leuten vor der Kamera. Ohne vorgefertigtes Buch, der Schnitt ist ein entscheidendes Element. Wenn man mit Schauspielern zu tun hat, ändert sich alles. Eine Spielfilmregisseur*in würde ganz andere Antworten geben.

Wolfgang Hippe: Kommen die gesellschaftlichen Strukturen und Zwänge wirklich ausreichend in den Blick, wenn man auf Personen und ihre individuellen Geschichten fokussiert?

Britta Wandaogo: Ich glaube, dass man im Kleinen eher mehr erzählen kann. Es geht vor allem darum, ein Grundgefühl zu vermitteln, woher Strukturen rühren und nicht um Eindeutigkeit. Man erzählt ja nicht im Verhältnis 1:1.

Wolfgang Hippe: Hängt die eben angesprochene Mischung aus Nähe und Distanz beim Dreh vom Thema ab?

Britta Wandaogo: Distanz habe ich in Afrika gar nicht. Anfänglich habe ich den Film nicht klar vor Augen. Warum erzählen, was mir zu eindeutig im Kopf ist. Aus dem Rohmaterial könnten tausend verschiedene Filme entstehen. Sein Material lesen zu können ist entscheidend.

Wolfgang Hippe: Und die liefert der Dokumentarfilm?

Britta Wandaogo: Der Dokumentarfilm gibt sich Mühe, die Vordergründigkeit des Echtzeitmediums Fernsehen zu umgehen, indem er Hintergründe überhaupt erzählen will. Wenn jemand sehr viel Privatheit preisgibt, kann das auch unangenehm werden. Vielleicht kommt eine Form des seelischen Exhibitionismus heraus, die niemand sehen will.

Wolfgang Hippe: Wie muss der Macher auf die realen Bedürfnisse seiner realen Bedürfnisse reagieren? Sich anpassen, „sich unterordnen“, nicht alles zeigen?

Britta Wandaogo: Dokumentarfilm machen heißt Risiken einzugehen in eine Welt hineinzuschlüpfen von der ich nichts oder wenig weiß. Und der mit einer vorgefertigten Meinung nicht wirklich zu begegnen ist. Bei meinem Film „Die Krokodile der Familie Wandaogo“ wollte ich ursprünglich über Familienstrukturen in Burkina erzählen, die Krokodile sollten dabei eine Art roter Faden sein. Ich wollte wissen, gibt es die überhaupt? Gehen die Verwandten wirklich zu
dem Teich, um zu beten, bevor sie nach Europa reisen? Der Film lässt spüren, wie wenig von den Ritualen übriggeblieben ist. Dass der Konflikt zwischen Salif und mir später der zentrale Kern des Films wurde, ist während des Drehs entstanden.

Wolfgang Hippe: Spielt die Orientierung an Wahrheit für Sie eine Rolle?

Britta Wandaogo: Für mich gibt es die EINE Wahrheit sowieso nicht. Im Film schaffe ich vielmehr eine neue Art von Realität.

Wolfgang Hippe: Die Vermischung der Filmgenres ist auch ein Ausdruck der strukturellen Veränderungen der gesamten Medienlandschaft. Das Internet hat die Kommunikation grundsätzlich verändert. Werden die Grauzonen zwischen den Medien und Genres auf den Dokumentarfilm zurückwirken?

Britta Wandaogo: Die Sehgewohnheiten haben sich ja bereits verändert. Das Cliphafte, das Selbstinszenierte nimmt insbesondere im Netz zu. Aus meiner Sicht hat die Jugend zunehmend weniger Interesse an vorgefertigten Dingen. Es geht um schnelles Ausleben und Auswählen. Erklärstücke sind weniger gefragt.

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